Pilzvergiftungen 2020

Pilzvergiftungen und Verdachtsfälle 2020

Pilzvergiftungen 2020

Pilzvergiftungen und Verdachtsfälle im Raum Nordwestmecklenburg

03. Februar – Am Nachmittag ein Anruf einer besorgten Mutter aus Neubukow während der Sprechzeiten in der Pilzberatung. Die dreijährige Tochter hat möglicherweise beim Spielen im Außengelände eines Kindergartens von im Rindenmulch wachsenden Pilzen etwas in den Mund gesteckt oder vielleicht sogar verschluckt – der Klassiker. Sie fragte mich, ob ich mir die Pilze anschauen könnte. Sie würde dann nach Wismar kommen. Eine dreiviertel Stunde später waren beide bei mir in der Beratung. Dem Kind ging es gut. Es konnte uns aber nicht mitteilen, ob es tatsächlich etwas von den Pilzen in den Mund gesteckt hatte. Zwei Pilze hatte die Mutter noch vor Ort sicherstellen und mir vorlegen können. Es sollen aber noch weitere Fruchtkörper am Standort gewesen sein, die kurz vorher das Erzieherpersonal entfernt hatte. Ich konnte Entwarnung geben, denn es handelte, wie ich bereits vermutete, um Gemeine Trompetenschnitzlinge. Sie sind typisch auf Rindenmulch zu dieser Jahreszeit und harmlos, ja sogar essbar. Da der Winter bisher keiner war und es meist mild zuging, konnten auch andere, womöglich giftige Arten am Telefon nicht ausgeschlossen werden. Beispielsweise kann der Gift – Häubling auch in milden Wintern vorkommen und durchaus auch auf Holzhäcksel erscheinen.

28. Februar – Am späten Nachmittag erreichte Irena Dombrowa (Pilzberaterin des Landkreises Ludwigslust – Parchim) ein Anruf von besorgten Eltern eines Kleinkindes aus Lübeck. Ihre Telefonnummer erhielten sie von der Giftnotrufzentrale Göttingen. Es bestand der Verdacht, das Kind könnte von kleinen Blätterpilzen gegessen haben und drei etwas unscharfe Fotos wurden ihr zugeschickt. Irena leitete diese an mich weiter. Rosaweiße Hellblättler waren darauf zu erkennen. Mit großer Wahrscheinlichkeit Trichterlinge und hier kam für mich vor allem der Duft – Trichterling (Clitocybe fragrans) in Betracht. Weißliche Trichterlinge sind in der Regel Muskarinhaltig und somit giftig. Irena Domrowa teilte den Eltern meine Diagnose mit und empfahl mit dem Kind unverzüglich in eine Klinik zu fahren, welches auch so geschah. Nach ca. einer Stunde rief mich eine Krankenschwester von der Notaufnahme der Universitätsklinik Lübeck an und wir erörterten kurz  den Sachverhalt. Das Kind zeigte bis dahin keinerlei Symptome. Ich bat nochmals den Geruch zu prüfen und wies darauf hin, das weißliche Trichterlinge, so auch der mögliche Duft – Trichterling, infrage kommen könnten. Die Pilze sollen Muskarin enthalten, welches mit Atropin unschädlich gemacht werden kann. Da das Kind bis dahin keine Symptome zeigte, riet ich zur Beobachtung (erste Symptome einer Muskarin – Intoxikation Minuten bis zwei Stunden nach der Mahlzeit). Sicher kann hier nicht von einer Mahlzeit ausgegangen werden und es ist wie so oft fraglich, ob überhaupt nennenswert etwas von den Pilzen verschluckt worden ist.

Eines der drei Bilder, die uns zugesandt wurden. Der Duft – Trichterling (Clitocybe fragrans) könnte augenscheinlich in Betracht kommen.

16. Juli – Mich erreicht ein Anruf eines Urlaubers aus Berlin, der sich gerade im Klützer Winkel erholt. Dort habe er wildwachsende Champignons gesehen und auch gleich von einem roh gekostet. Im Nachhinein bemerkte er einen unangenehmen Beigeschmack und wurde stutzig. Er meinte, es schmeckte irgendwie giftig. Er setzte sich mit der Gift – Notrufzentrale in Verbindung, die ihn an die Wismarer Pilzberatungsstelle weiter vermittelte. Ich bat ihn, mir den Pilz vorzulegen. Wie vermutet handelte es sich um den Karbol – Champignon. Er hatte davon ein kleines Stück, wie schon erwähnt, roh verzehrt und nach etwa 2 Stunden keinerlei Symptome. Mir war wichtig, dass es sich um einen Champignon, und nicht um einen eventuell giftigen Wulstling handelte. Bei dieser geringen Menge Karbol – Champignon dürfte ohnehin kaum zu erwarten sein.

Karbol- oder Gift – Champignon (Agaricus xanthodermus).

17. Juli – Ebenfalls von der Giftnotruf – Zentrale vermittelt, rief mich eine Hebamme aus Lübeck an. Ihre 14 Monate junge Tochter hätte einen Pilz, der auf einer Rasenfläche wuchs, gegessen. Ich bat sie, mir Fotos von den infrage kommenden Pilzen zu senden, sofern noch welche vorhanden sein sollten. Die Bilder zeigten eindeutig Düngerlinge, sehr wahrscheinlich leicht giftige Heu – Düngerlinge. Da die „Kostprobe“ des kleinen Mädchens zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme bereits einen Tag zurück lag und das Kind sich offensichtlich bester Gesundheit erfreute, gab ich Entwarnung mit dem Hinweis, mögliche, noch vorhandene und nachwachsende Fruchtkörper abzusammeln, falls sich das Kind auf der besagten Rasenfläche weiterhin aufhalten sollte.

Heu – Düngerling (Panaeolus foenisecii).

26. Juli – Eine Mutter aus der Region Wismar rief mich heute Mittag im Info – Zentrum an und berichtete mir von einem Vorfall mit Kindern, die sich offensichtlich am Nachmittag/Abend des Vortages einen Pilz – und Kräutersalat auf der grundstückseigenen Wiesenfläche in Waldrandnähe zusammenstellten. Eines der Kinder (3 Jahre) bekam heute Vormittag Brechreiz und übergab sich mehrmals. Es möchte nichts zu sich nehmen und lehnt selbst Getränke ab. Zuvor hatte die junge Mutter bereits die Gift – Notrufzentrale kontaktiert, die sie an mich weiterleitete. Ich bat, mir die noch vorhandenen Reste des möglichen Kindersalates in die Beratungsstelle zu bringen. Angelblich hätte aber keines der Kinder davon genascht, so dass die Mutti vermutete, dass das betroffene Kind sich nicht ordentlich die Hände gewaschen hätte und sich dadurch vergiftet haben könnte. Das schloss ich aus. Vom bloßen Anfassen eines auch noch so giftigen Pilzes bekommt niemand wahrnehmbare Symptome, auch Kinder nicht!

Etwa eine halbe Stunde später erschien die junge Dame bei mir in der Beratungsstelle mit den möglichen Pilzen b. z. w. was davon übrig geblieben ist. Es waren nur ausgehölte Schalenteile eines Stäublings, sehr wahrscheinlich von Hasen – Stäublingen (Calvatia utriformis). Dabei war allerdings auch ein sehr altes, in Fäulnis übergegangenes Exemplar und gelbe Blüten einer mir unbekannten Wildpflanze. Da es sich bei den Stäublingen nicht um eine giftige Art handelt, könnte eher in Fäulnis geratene Bereiche dieses Pilzes für die Symptomatik bedeutsam sein. Auch können die Blüten der mir unbekannten Pflanze giftig sein. Leider bin ich in Kräuterkunde nicht so bewandert und daher gab ich die Empfehlung mit dem betroffenen Kind in der Notaufnahme einer Klinik vorstellig zu werden. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang die lange Latenzzeit von gestern Nachmittag/Abend bis heute Vormittag! Am Waldrand stehen auch Nadelbäume. Eine Nachsuche nach anderen Pilzarten ergab noch die Anwesenheit eines essbaren Riesen – Schirmpilzes (Macrolepiota procera), der mir per Foto gezeigt wurde. Er kann zumindest roh leicht giftig wirken, ist ansonsten ein guter Speisepilz.

Sehr wahrscheinlich wurden für den vegetarischen Kindersalat nicht mehr ganz astreine Teile des Hasen – Stäublings (Calvatia utriformis) und mir unbekannte Blüten einer Wildpflanze von den Kindern verwendet.